Europäischer Hintergrund des AGG

Der europäische Hintergrund des AGG

Mit dem AGG hat Deutschland vier europäische Richtlinien in nationales Recht umgesetzt. Der Hintergrund für die vier EU-Richtlinien ist der Anspruch der Europäischen Gemeinschaft, nicht nur eine Wirtschafts-, sondern auch eine Wertegemeinschaft zu sein. Die Europäische Gemeinschaft beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte, der Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit. In den Erwägungsgründen zu den EU-Richtlinien heißt es: „Die Gleichheit vor dem Gesetz und der Schutz aller Menschen vor Diskriminierung ist ein allgemeines Menschenrecht.“ Der effektive Schutz vor Diskriminierung und die Förderung von Chancengleichheit stellt daher einen Kernbereich europäischer Politik dar.

Zu Beginn lag der Schwerpunkt der Bemühungen beim Abbau von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Bereich der Entlohnung, bei Arbeitsbedingungen und sozialer Sicherung. Zu nennen sind hier insbesondere das schon seit 1957 bestehende Lohndiskriminierungsverbot des Art. 141 EGV sowie die Richtlinie 76/207 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Erwerbsleben. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seiner Rechtsprechung in großem Maße dazu beigetragen, die Gleichstellung von Frauen und Männern zu stärken und voranzubringen (vertiefend siehe Mark Bell 2002).

Die Erfahrungen mit Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und das vermehrte Auftreten von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Politik und Gesellschaft in den 90iger Jahren machten der Europäischen Gemeinschaft deutlich, dass sie Diskriminierung auch aus anderen Gründen bekämpfen muss. Dies führte letztendlich zur Verankerung des Art. 13 im EG-Vertrag, der die Befugnis verleiht, umfassende Diskriminierungsmaßnahmen zu ergreifen.
Auch die Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern wurde mit der Verankerung der Artikel 2 und 3 Abs. 2 EGV als wichtige Aufgabe und Richtschnur bei allen Tätigkeiten betont und gestärkt. Die Erweiterung des Art. 141 Abs. 4 EGV (Art. 119 a.F.) stellt nun auch eine Grundlage für Antidiskriminierungsmaßnahmen speziell aufgrund des Geschlechts dar.

Ein weiteres Motiv für die Erweiterung des europäischen Diskriminierungsschutzes ist die Tatsache, dass Diskriminierung, nicht nur das Ziel der Gleichstellung der Geschlechter unterminiert, sondern auch das Erreichen eines hohen Beschäftigungsniveaus, eines hohen Maßes an sozialem Schutz sowie die Anhebung des Lebensstandards und der Lebensqualität beeinträchtigt. Dies ist auch im Kontext mit der 2000 verabschiedeten Lissabon-Strategie zu sehen, die aus Europa die wettbewerbsfähigste und dynamischste wissensbasierte Wirtschaft der Welt entwickeln will. Ausgrenzung von Bürgerinnen und Bürgern auf dem Arbeitsmarkt und dem Dienstleistungs- und Bildungsbereich steht diesen Zielen entgegen.

Drei der vier EU-Richtlinien sind vom Rat der Europäischen Union auf der Grundlage des Artikels 13 des EG-Vertrages verabschiedet worden:

  • Die Anti-Rassismusrichtlinie des Rates vom 29.06.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder ethnischen Herkunft (Richtlinie 2000/43/EG),

  • die Rahmenrichtlinie des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Richtlinie 2000/78/EG) sowie

  • die vierte Gleichstellungsrichtlinie des Rates vom 13.12.2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Frauen und Männern beim Zugang zu oder bei der Versorgung von Gütern und Dienstleistungen (Richtlinie 2004/113/EG).

Auf der Grundlage des Artikels 141 EG-Vertrag ist die revidierte Gleichbehandlungsrichtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 23.09.2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG beschlossen worden. Diese Richtlinie dient der Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Frauen und Männern hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (Richtlinie 2002/73/EG).

Hier finden Sie eine Übersicht über die vier Richtlinien.

Deutschland wurde für die nicht fristgemäße Umsetzung der beiden ersten Richtlinien im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagt und verurteilt. Die Urteile finden Sie hier.

Inzwischen ist das AGG in Kraft getreten. Die Richtlinien sind damit dennoch nicht gänzlich umgesetzt. Vielmehr muss das gesamte nationale Recht den Richtlinien entsprechen und ist insofern zu überprüfen. Das trifft insbesondere auf Regelungen zu, die Altersbeschränkungen enthalten. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen:

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Fall Mangold im November 2005 das deutsche Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) in Teilen für europarechtswidrig erklärt. Das TzBfG sah eine unbeschränkte Befristungsmöglichkeit für Arbeitnehmende über 52 Jahre vor. Damit sollte ein Anreiz geschaffen werden, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einzustellen. In dieser unbeschränkten Befristungsmöglichkeit sah der EuGH einen Verstoß gegen die Diskriminierung wegen des Alters beim Zugang zu Beschäftigung im Sinne der Rahmenrichtlinie 2000/78/EG (Vgl. Artikel 6 Abs. 1). Der EuGH bemängelte insbesondere die unzureichende Datenlage für die Annahme des deutschen Gesetzgebers, ältere Arbeitnehmende seien mit Befristungsmöglichkeit besser zu vermitteln. Eine solche Befristungsmöglichkeit sei nur dann gerechtfertigt, wenn empirische Daten zu der spezifischen Arbeitsmarktsituation für ältere Arbeitnehmende darlegen, dass Befristungen tatsächlich positive Effekte haben können (Susanne Dern 2006).

SL

Weiterführende Literatur:

  • Bell, Mark: Anti-Discrimination Law and the European Union, 2000.

  • Berghahn, Sabine/Wersig, Maria: Einflüsse des Europäischen Rechts auf die Geschlechterverhältnisse und andere Diskriminierungsumstände, in: GenderPolitikOnline 2005.

  • Däubler, Wolfgang/ Bertzbach Martin (Hrsg.): Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Handkommentar, Rn. 3ff, 2007.

  • Dern, Susanne: Europäisches Antidiskriminierungsrecht – Chancen und Risiken für den Gleichstellungsalltag, Gleichstellung in der Praxis (GiP) 2006, S. 17-21.

  • Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: <Nichtdiskriminierung und Chancengleichheit für alle – eine Rahmenstrategie>, Brüssel 1.6.2005, KOM(2005) 224 endgültig.

  • Schiek, Dagmar (Hrsg.): Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG), Ein Kommentar aus europäischer Perspektive, Rn. 25ff, 2007.

erstellt von Administrator zuletzt verändert: 02.01.2010 20:06